Gefahrenabwehr 3.0: Zieh!

Gucken Sie sich diesen Haufen hier bitte an. Möglicherweise wird es das letzte Mal sein, dass Sie ein aktuelles Holzbuhnenfoto sehen. Schauen Sie genau hin. Diese Maserung, der feine, sanfte Schliff jahrzehntelanger Auswaschung durch Ebbe und Flut. Wasser kommt, Wasser geht, Holz bleibt.

Es blieb. Vorbei. Der Strandabschnitt bei Klappholttal, hinter Kampen und vor List, wird in Kürze komplett holzbuhnenfrei sein, die Arbeiten sind bereits fortgeschritten. Weit oben im Norden wird mit schwerem Gerät geackert. Die Buhnen werden „gezogen“, weg gemacht, entfernt, abgeschafft, entsorgt. Manchmal erst abgesägt, dann rausgerissen, manchmal gleich gezogen, Prämisse „So viel raus wie irgend geht“. Die Arbeiten werden schlauerweise nach Gewicht honoriert, wer auch immer sich das ausgedacht hat, also sozusagen nach dem Gesamtgewicht der Ziehmasse. Der Herr gibt, der Herr nimmt: Die Mitarbeiter des einzigen echten Meeresexperten im Norden, was das Bewegen von viel Materie angeht und alltags auf Sandvorspülung spezialisiert, sind ausführendes Organ und nicht unsensibel, wenn jemand betroffen nachfragt. Man setze hier eben um, was beschlossen wurde, so heißt es.

Bagger vorne, Buhne hinten, das auflaufende Wasser steht ihr bis zum Hals

Weg müssen die Dinger, die Buhnen, so haben es also Kommunalpolitiker, Küstenschützer und ihre Zuarbeiter losgetreten, allesamt Entscheidungsträger weder vom touristischen noch vom historischen Fach. Auch war über Monate, wenn nicht gar Jahre die entscheidende Gemengelage etwas undurchschaubar. Da sollte was passieren, aber was und wie genau, geht’s um Holzbuhnen oder Beton, keine Ahnung, da war doch was, ist das jetzt beschlossen oder noch nicht? Aber doch nicht die Holzbuhnen?

Doch. Die auch. Wasser kam, Wasser ging, für den Laien recht plötzlich war Geld da, bei Weitem nicht genug, es ist ja nie genug, aber überraschend reichlich fürs Erste, woher auch immer. Und einen Beschluss, schon Mooonate her, war da was im April oder wann, den gab es auch. Aber anstatt sich sofort um die wirklich unbestritten mordsgefährlichen Betonbuhnen zu kümmern, die teilweise mit speerähnlichen Stahlspießen beispielsweise bei Wenningstedt aus dem Wasser ragen, wird jetzt erstmal ganz, ganz schnell weggehauen, was blindwütigem Aktionismus nicht standhalten kann und irgendwie Opfer in einer Art Glaubenskrieg geworden zu sein scheint. Wasser kommt, Wasser geht und Holz ist kein Beton.

Wo beginnt die Panik, wo die Polemik? Der Gefahrenbegriff ist sehr dehnbar, hier am Meer

In Vorbereitung der Aktion betrieben Fürsprecher Alarmismus, als hätten wir davon nicht wirklich mehr als längst genug, in seiner abstrusesten Form. Sie konstruierten mal finanzielle, mal existenzielle Gefahren. Es wurde die monetäre Bedrohung der Gemeinden („… dann auch für die teure Instandhaltung sorgen!“) beschworen, von Dingen, die seit über 100 Jahren einfach so da standen, Wasser kam, Wasser ging. Dann wieder wurde auf die großen Gefahren verwiesen, denen der Leib arglos badender Touristen und damit („… wir leben alle davon!“) irgendwie ja auch der ganze Tourismus ausgesetzt sei, ja, eben auch durch diese Holzbuhnen. Gefahrenabwehr jetzt. Buhnenziehen sofort. Einige wenige werden, nach ersten, gemessen am Einsatz eher spärlichen Protesten, möglicherweise als „Blickfang“ erhalten. Wasser kommt, Wasser geht.

Wasser kam, Wasser ging: Jahresringe und Astansätze waren stets Lesestoff für Strandläufer

Mit dem Ziehen der uralten Holzbuhnen vernichtet die Insel so entschieden Unwiederbringliches wie der unbeliebte Immobilienspekulant hier gern die unrentable Altbausubstanz. Ganz nebenbei verschwindet damit übrigens auch das, was Sylter Sonnenuntergänge on- wie offline weltweit von allen anderen am Meer (doch eigentlich sehr ähnlich, wenn nicht gar identisch) markant, attraktiv und absolut zweifelsfrei abhob. Wo Buhne drauf war in Social-Media-Land, da war bis hierhin garantiert Sylt drin, #inselliebesylt, gar keine Frage, oh, ich so Sehnsucht, so oh so.

Die Insel kann sicherlich ohne ein weiteres blindwütig vernichtetes Ausnahmestellungsindiz überleben. Aber irgendwann wird sich vielleicht doch einmal final irgendwie beweisen, Karma und so, dass Urlaubsvergnügen, Lebenslust und Gastgeberleidenschaft niemals die besten Freunde von Aktionismus, Katastrophenschutz und Gefahrenabwehr sein werden.

Wurde da gesägt? Vor wenigen Jahren noch ein echter Aufreger, heute, naja, na und?!

Erwischt hat es dieser Tage übrigens auch eine Buhne aus dem Jahr 1895 oder so. Kann man natürlich nachgucken, das exakte Baujahr, macht jetzt aber ja leider auch keinen Sinn mehr an dieser Stelle. Exakt diese Buhne, es war eine doppelreihige, die bereits zu relativ zartem und sehr apartem Format, Wasser kam, Wasser ging, herabgewaschen war, hatte vor einigen Jahren für Aufregung gesorgt.

Da war doch tatsächlich jemand nachts mit der Motorsäge und Allradantrieb herangerauscht, hatte einige aparte Kopfstücke abgesägt, auf Metallfüße gestellt und für einen gut dreistelligen Betrag mit einem Partner zum Kauf angeboten. Die ersten waren schneller verkauft, als der Sturm der Entrüstung über die Insel fegen konnte. Aber wie in engen Biotopen so üblich, zeichnete sich im Seenebel und Indiziendickicht sehr rasch ab, dass jeder irgendwie wusste, wer es gewesen sein könnte. Und das soziale Gefüge tat das, was es eigentlich hier immer sehr gut konnte: ausgleichen, aufräumen, regulieren, mehr oder weniger feingeistig aber nachhaltig und im Sinne des Gemeinwohls, ohne „fette Welle davon zu machen“. Der möglicherweise Man-weiß-es-nicht-genau-Säger stiftete dann freudig ein dringend und wirklich gern benötigtes, hier nicht näher zu beschreibendes Etwas an eine historische Einrichtung. Wasser kam, Wasser ging, Säge und Besitzer verließen die Insel und wechselten die Seite, nach Sylt fährt man noch zum Urlaub. Die Buhnenstümpfe aber blieben mahnend stehen, mal mehr mal weniger sichtbar.

Beweisfoto: Ein vor Jahren frischer Schnitt, heute längst Historie, nun kann die Gefahr weg

Es war eine andere Zeit, auch, wenn sie nur ein paar Jahre zurückliegt. Eine Zeit, in der die Mehrheit noch sorgsam umging mit Gewachsenem, mit Zeugnissen der eigenen Geschichte, mit den Spuren vielleicht langsam untergehender Kultur, Wasser kommt, Wasser geht. Schläge wegstecken zu können, Unbill mit gut geerdetem, für Außenstehende auch manchmal etwas ruppig erscheinendem Humor nehmen zu können, ist immer eine große Stärke dieser Insel gewesen, Wasser kommt, Wasser geht. Vielleicht muss auch das Rote Kliff jetzt weg, damit da niemals einer runterfällt, sagte gestern jemand, aber es klang irgendwie etwas kläglich und nicht wirklich so frech und liebenswert wurstig wie sonst.