Mal was zurückgeben.

In der Saison leiden Sylter leise. Schon wieder einer krank. Immer noch drei Stellen offen. Leichter Saisonblues. Hier kommt ein Gegenmittel namens Martina.

Dieser Text handelt von einer Bekloppten, natürlich von Sylt, vom Fachkräftemangel und vom Einfach-mal-Machen. Martina F. lebt seit mehreren Jahrzehnten Syltliebe, ganz so wie die Insel es im Idealfall erwartet: Ihr Mann steht auf Biike-Käse, ein, zwei Mal im Jahr muss ein Trip einfach sein, ihre Geschirrtücher ziert die Syltsilhouette, sie mögen Galloway-Wurst, auch Gosch, es gibt eigentlich nichts, was sie nicht haben oder kennen von den Sylt-Must-Haves.

Gehört schon viel, viel länger zu ihrer Familie, als Martina insgesamt zum Raffelhüschen-Team: Der Bär des Bäckers mit Bekennershirt, vor Jahren irgendwann als Souvenir erstanden

Außerdem ist Martina Schwimmerin, eine Vollgasfrau und manchmal mit dem Alltag einer verrenteten Ex-Beamtin doch unterfordert: Als sie auf Airbnb für acht Wochen ein Boutique-Doppelzimmer im Sommer 2025 bucht, nix Superbilliges, aber auch nichts Überdrehtes, ist die Herbergsmutter überzeugt, die hat sich verklickt. Nix da. Martina nennt sich jetzt „Freizeitmillionärin“, finanziell nicht überfüttert, aber doch alltagsentspannt. Kein Luxus, aber auch keine Sorgen, das ist doch wirklich was, da kann man auch mal zurückgeben. Und jetzt ist Sylt dran. Sie hat einen Job bei Raffelhüschen, acht Wochen Brötchen verkaufen, die rührende Seele hat sich „beworben“, wo doch gar keine Konkurrenz ist, das Gehalt wird knapp unter, manchmal über der Miete rumchangieren, je nach Stundenzahl und Zuschlägen, sie nennts „das Abenteuer“, Freunde und Verwandte sagen schonmal, du bist doch bekloppt. Martina packt ihren halben Hausstand ein, weil sie mag, wenn die Dinge wirklich alle so sind wie sie sie mag, und fährt nach Sylt. Fachkräftemangel, das hat sie gelesen, gehört und mitgefühlt, der Fachkräftemangel ist hier oben besonders hart in der Saison, also ran da.

Jahrzehntelang, 30, 40 können es schon sein, hat sie mit Familie und Freunden hier glücklich geurlaubt, jetzt ist dafür ein acht Wochen großes Danke dran. Martina packt zu und die Härte der Saison auf ihrer Trauminsel greift nach ihr. Runde Füße, Schweißausbrüche, weil es unendlich mehr verschiedene Brötchensorten gibt als ein Gehirn sich Kassenposten merken kann, Kartenzahlung, freche Kunden, zu viele Kunden, zu wenig Kunden, liebenswerte Kunden, Internet spinnt, Schichtdienst, Krankmeldungen, ein paar Kilo verlieren, viel rennen – sie nimmt alles mit und bleibt doch vergnügt. Denn das fühlt sich gut an unterm Strich. Nette Kolleginnen. Fairer Vertrag. Etwas durchziehen, was man sich so lange vorgenommen hat. Zurückgeben. Sich einbringen. Durchhalten. Auch scheint ihr gut zu tun, dass sie mal inmitten von schon jetzt Abertausenden von Gästen „alleine“ unterwegs sein kann. Der Mann an ihrer Seite hat Verständnis für ihre bekloppte Idee und weiß, die musst du laufen lassen.

Sie läuft. Schon vorm Dienst an den Strand zum Baden, sich um liebe alte Freunde kümmern, die um diese Zeit immer hier sind. Manchmal ist sie kaputt, sieht man ihr nie an. Wenn frei ist, spult sie konzentriert ein fettes touristisches Programm nebenbei ab, das andere nichtmal schaffen bei einem Aufenthalt ohne Saisonjob: Hooge und Amrum, List, Hörnum, viel Hin und Her, Polo und „Nord, Nord, Mord“-Dreharbeiten, Föhr und ein Strandkorb am Brandenburger Strand, jeden Tag schwimmen, Sonnenaufgang gucken, Fotos machen, Leute kennenlernen. Was sie auch kennenlernt: das etwas echtere Sylt. Wie das Touristische die Menschen erschöpfen kann, die alles für den Gast geben, „das sieht man als Kunde so klar nicht“, bilanziert sie nach dem Seitenwechsel, sie habe „großen Respekt vor dem, was die Bäckereifachverkäuferinnen täglich leisten – und das für diesen Lohn?!“. Mit nach Hause nimmt sie auf jeden Fall „Demut“. Ausgerechnet auf Sylt hat sie irgendwie nochmal anders gelernt, was es heißt, dankbar zu sein für das, wie man so ist und was man so hat. Und damit ist jetzt kein Inselurlaub, kein Syltsouvenir gemeint. Die Insel wiederum, das ist klar, hätte Martina gerne mindestens länger behalten und reibt sich immer noch ein bisschen verwundert die Augen. Dass jemand sowas macht, für Sylt, damit hat hier niemand gerechnet. Ganz schön bekloppt, aber es macht demütig. Ja, auch so können sie sein, diese Gäste hier. 

Martina am Brandenburger: Den Strandkorb haben ihr Freunde überlassen, hier tankt sie auf, sie liest, schwimmt täglich und schaltet ab.