Abgesang auf eine heimliche Inselinstitution
Die „Romada Singers“ haben ihr letztes Lied gesungen. Fast 20 Jahre sind sie in der Musikmuschel aufgetreten, bis zu drei Mal täglich in der Saison. Monatelang, je 90 Minuten durch, unbeirrbar, unverwundbar, egal ob Hunderte tobten oder nur 15 fröstelnd auf den Bänken und steinernen Stufen ausharrten, Jahr für Jahr, und nun wird es keinen neuen Vertrag mehr geben.
„Irgendwann geht ja alles zu Ende“, so die offizielle Lesart, es sei an der Zeit. Wie Es dahingekommen ist, an die Zeit, und warum das so ist und was danach dann kommt, nächste Saison, tja. Schulterzucken. 20 Jahre seien eben 2018 um. Dass die Musiker davor (es waren die „Evergreen Juniors“) nur 16 blieben, dass die 20 nie die Schallmauer, die magische Marke der Musikmuschelmusiker war, naja, tja. Ein etwas liebloses Plakat in einem Kunststoffständer weist auf das Fast-Jubiläum und sonntägliche Abschlusskonzert im Alten Kursaal hin. Weil sie „nur“ im Sommer hier waren, sinds ganz genau genommen ja sowieso zehn Jahre, so sagt eine, die wahrscheinlich kein Fan ist, sondern hier heute arbeiten muss. Zehn. Das klingt irgendwie kürzer und irgendwie auch schneller und soll wohl gegen die unterschwellige Tristesse dieses Konzertes helfen, die schwer in der regenfeuchten Luft hängt.
Viele ältere Menschen schieben sich in den Saal, aber es sind auch jüngere dazwischen, einige, nicht wenige, sind spontan angereist, als sie davon hörten. Es gibt tatsächlich eine Romada-Whatsapp-Gruppe, die News zur Band verbreitet. Der Umgangston im Kursaalfoyer ist höflich, aber irgendwie gedämpft. Leiser Unmut regt sich, als erklärt wird, Jacken, Schirme und Taschen gehörten in die Garderobe und mit Rucksack käme man nicht rein, die Sicherheit. Eine einzige überforderte Garderobenfrau gibt ihr Bestes, allein das kann nicht reichen bei gut 200 Besuchern. Es dauert.
Viele können sich Westerland nicht ohne die „Romada Singers“ vorstellen und das sind nicht nur Beigejackenträger. Sie waren so selbstverständlich da wie Ebbe und Flut, sie waren so skurril wie unterhaltsam, sie schienen schon so lange irgendwie aus der Zeit gefallen, aus jener, in der es noch „Kurkonzerte“ gab, dass man eigentlich denken musste, ihre sei unendlich und werde irgendwann von ihnen selber beendet. Auswendig konnte man ihre Stücke sowieso, von Daliah Lavi über Madam Butterfly bis zu Helene Fischer und den Kicks auf Route 66, ihre manchmal schon fast grausame Ohrwurmlastigkeit hatte sich längst mit rührender Ausdauer in die Gewohnheitsabteilung des sommerträgen Unterbewusstseins gefräst.
Pavel Hromada, wie Paul Romada eigentlich heißt, der Konzertmeister, der heute laut eigener Erklärung der „älteste der Slowakei“ ist, wobei mitschwingt, dass der älteste von irgendetwas zu sein nicht nur eine Ehre ist, Pavel Hromada ist ein Mann, der nahezu jeden Sommer eine andere hatte. Die Sängerinnen der Romada Singers wechselten regelmäßig, waren mal mehr, mal weniger talentiert, fütterten stets die Phantasie. Konnte Anna Deutsch oder hatten die Romadas ihr fürsorglich alle Texte in Lautschrift notiert? War die junge Mutter in der Saison drauf wirklich studierte Medienwissenschaftlerin? Sangen sie ein Jahr tatsächlich „Schatzi, schenk mir ein Auto“ und hatten Micki Krause ein bisschen anarchistisch für die Insel adaptiert? Wieso trat die Dunkelhaarige jählings nicht mehr mit den Romadas auf, schlendert aber in der Saison öfter sehr ausdrücklich an der Hand eines Herren an der Muschel vorbei? Und überhaupt: Wo kam der Keyboarder mit dem öligen Touch plötzlich her? Wenn die Saison besonders beschwingt startete, fragte man sich doch schon mal, lief da jetzt vielleicht irgendwas zwischen dem Trompeter und der Sängerin? Als der stets dunkelbebrillte kleine Bassist, eigentlich schien er nach unzähligen Jahren gesetzt, im letzten Sommer nicht mehr mit seinem zu großen rostigen Rad auftauchte, waren Promenadengänger kurz schwer beunruhigt, aber dann, ach, tja, der neue, der war auch nicht schlecht.
Es ist diese Mischung aus Mysterium und offensichtlich klassischer, so altmodisch fundierter Musikerausbildung, die die Konzerte der Romadas sich in die Sylter Küste einbrennen ließen, wie Bikiniumrisse auf Sommerhaut. Sie gehörten einfach dazu und hatten sogar Style. Einen sehr eignen, aber offenkundigen: immer gleichfarbige Hemden, heute rot, Morgen kariert, manchmal maisfarben, immer locker in der Hüfte, stets überraschend gut auf dem Laufenden, was die Hitlisten angeht und immer mal für rare Überraschungen gut, wenn sie sich doch rasche Improvisationen leisteten, mit dem Hauch eines Versehens notdürftig getarnt, nur um Minuten später wieder zu den Standardschlagern abzubiegen. War da was?
Ja, da war was. Letzten Sonntag. Das allerletzte Konzert. Bei Klärchen und Erwin, bei Rainer und Uschi bedankte sich der Konzertmeister zur Begrüßung, stellvertretend für alle und dann brach ihm die Stimme. Er könne immer noch besser Musik spielen als sprechen und er hätte es gerne gesagt, auch heute, das „Auf Wiedersehen bis nächstes Jahr“, wie 19 Mal zuvor, aber, „Sie vergeht unweigerlich die Zeit und kommt nie zurück“.
Bei „Rote Lippen soll man küssen“, Cliff Richard ist einer der meistgewünschten in all den Jahren gewesen, begriff auch die letzte Reihe, irgendwie spielen sie hier heute gerade vielleicht ein bisschen um ihr Leben, mindestens um 20 Jahre Sylt und das ist nun wirklich schon ganz schön was. Die Basslinie schräger und energischer als sonst, das Saxophon keck wie nie und plötzlich stand der Kappelmeister tatsächlich mit Baströckchen, schwarzer Perücke und zwei Apfelsinen im Haar auf der Bühne. Behielt er einfach auch noch an für „Tuttifrutti“, passt ja inhaltlich, Obst eben, barfuß griff er nach dem Saxophon. Für einen, der jahrzehntelang stets die Contenance in der Musikmuschel wahrte, sicher ein geradezu revolutionärer Vorgang, getragen von einer Mischung aus Abschiedsschmerz und Jetzt-ist-sowieso-alles-scheissegal-Übermut.
Als Uschi, Freundin der Romada Singers und offensichtlich langjährige Wegbegleiterin, zwischendurch die Bühne erklomm, strafften sich die Schultern der Vertreterinnen des „Insel Sylt Tourismus Service“, des angehenden Ex-Vertragspartners der Romadas. Uschi dankte den Musikern für alles und dann sagt sie es tatsächlich: wie schade es ist, „dass Ihr nicht mehr wiederkommen dürft“.
Einen kurzen Moment bleibt die Zeit stehen, der Saal hält die Luft an, jeder ahnt, das Ende, das hatte wahrscheinlich keinen langen Vorlauf, und dann rauscht Maja in einem sehr engen blauen Kleid heran und singt von „Mama Lorraine“ und der Moment geht vorüber. Rot, rot, rot sind die Rosen, kein Pressevertreter ist da, nicht der Tourismus-Chef, kein Funk und kein Fernsehen, kein großer Offizieller, keiner von all‘ denen, die sonst jede Banalität aufmerksamkeitsheischend bis zur Erschöpfung eskortieren. Und zum Abschied gibt es für jeden Musiker einen Becher mit ihrem aktuellen Gruppen-Portrait drauf und etwas Stoffiges in Zellophan, es könnte ein Handtuch sein. Danach ist alles fast wie immer in der Musikmuschel. Die Romadas bauen eigenhändig ab und verschwinden. Machts gut, bleiben Sie gesund.