Traditionell: Neuer Trend zu Biike

Alle Jahre wieder: Biike. Traditionell zünden Sylter in der Nacht des 21. Februars riesige Feuer an. Die Erklärung dafür ist variantenreich und je nach Gesprächspartner fällt sie recht unterschiedlich aus. Die Gästevariante geht so: Früher, als die Walfänger mit dem auslaufenden Winter abreisten und für Monate, Jahre oder gar immer hinterm Horizont verschwanden, haben die zurückbleibenden Frauen, Alten und Kleinstkinder damit ein letztes und weithin sichtbares „Farwel“ abgefeuert. Die Gästevariante B setzt so fort: Nicht zuletzt verjagten sie damit auch den Winter und hießen den Frühling willkommen. Für etwas Ambitionierte und Feminismus-Sympathisant/innen/en gibts Variante C: Mit den Feuern feierten die Frauen die Rückeroberung der Inselherrschaft, nun war man die Kerle endlich längerfristig wieder los, hatte die Ruhe zurück und das Sagen auf Sylt.

ITBtauglich, also unter Touristikern und hinter vorgehaltener Hand immer für einen messe-erschöpften Abendlacher gut, ist Variante vier. Am Ende des langen, entbehrungsreichen Winters zündeten diese Insulaner hier bei diffuser Sicht früher riesige Feuer an, um Frachtschiffe in die Irre und auf Untiefen und Sandbänke zu locken, wo sie dann über Belegschaft wie Fracht herfielen und sich bereicherten. Harfharf, so sind sie die Sylter, muhaha, hat sich bis heute nix geändert, heißt jetzt nur „Belebung der Nebensaison“ und wieherwieher, wer da hinfährt um sich nach Strich und Faden im Februar ausnehmen zu lassen, ist doch selber Schuld.

Tinnum hat in 2018 definitiv den coolsten Sound am Biikeplatz und ein paar Sitzplätze gibts tatsächlich auch

Aus der prä-touristischen Biikezeit stammt ein weiteres Detail des Biike-Brauchs, so richtig historisch zuordnen kann man das nicht, aber ein allererster Fingerzeig auf den möglichen späteren Eventcharakter dieses Feiertages könnte es gewesen sein. Die Erklärung dafür geht so: Insulanern wurde der Winter lang und deswegen vertrieben sie sich die hoffentlich letzten kalten Tage auch, indem sie allerhand Unsinn anstellten. Zum Beispiel sich in der Nacht auf den 21. Februar die bereits aufgehäuften Biiken gegenseitig verfrüht anzünden. Dabei ging es und geht es bis heute Biike gegen Biike und wenn es ein Dorf erwischt, welch‘ Schmach, dann geht der Offline-Shitstorm auf alle Bewohner nieder, mit der unglaublichen Härte eines Nordseetiefs. Kampen erwischte es übrigens gleich mehrmals hintereinander, nach der letzten Jahrtausendwende. Was eigentlich wieder nur bestätigt, dass das Dorf sowieso ein insularer Sonderfall ist. Gestoppt wurde die Serie vor einigen Jahren schließlich, indem man dort eine professionelle Biikewache engagierte, Sicherheitsfachleute, die sonst auf dem Surfcup Betrunkene dirigieren.

Womit wir im Thema „Aktualisierung von Traditionen“ angekommen sind und feierlich verkünden können: Das Jahr 2018 wird in die Biike-Annalen eingehen, in diesen Tagen manifestierte sich nämlich ein neuer Sylter Brauch, quasi Sylttradition 3.0, und man ahnt’s bereits – es hat mit diesem Internetz zu tun. Am Abend des 20. Februar verbreitete es sich ab 20:46 wie ein Lauffeuer, die Keitumer Biike brennt. Fotobeweis anbei, whatsapp qualmte schneller voll, als die Biike Feuer fangen kann, auch in trockenen Wintern. Wenig später die nächste Horrornachricht, dieses Mal via Facebook: Auch die Tinnumer Biike brennt!

Feuer frei, Empörungsmodus go, die Erregungskurve schwang sich binnen Minuten zu respektablen Höhen auf: Eine Sauerei sei das, die schönen Traditionen zu zerstören, wer anderen die Freude nicht gönne, gehöre strikt bestraft, da sehe man mal, wie weit es schon gekommen sei, keiner halte mehr des nachts Biikewache und das sei doch schließlich ein unglaublich fieses Zeichen, nicht mal mehr Konfirmanden gebe es hier, diese Überfremdung und überhaupt, nix sei mehr wie früher.

Aus einer qualmenden Feuertonne zum Fingerwärmen während der nächtlichen Biikewache wird schnell eine aufregende Nachricht, „Die Biike brennt, in echt! Ich hab den Rauch gesehen! Schon von ganz weiiiit weg!“

Die Keitumer Biike abgebrannt? Moooment. Woher kam die Nachricht? Aus Archsum. Wer verarscht die Keitumer besonders gern? Die Archsumer. Wie sah das Beweisfoto aus? Perfekt ausgeleuchtet, professioneller Bildanschnitt, man hätte es früher merken können, dieses Bild war keinesfallstenst vom 21. Februar 2018, wahrscheinlich noch nicht mal vom Versender selbst geknippst, nicht wahr, M.? Die Tinnumer Biike abgebrannt? Alles Quatsch, meldete am frühen Morgen des 21. Februar gleich die Tinnumer Wehr selber, Beweisfoto anbei, live gepostet von der Biikewache.

Hier starb ein Strandkorb, ob aus Versehen oder mit frostbetriebenem Vorsatz steht derzeit noch nicht fest. Die dorfinternen Ermittlungen laufen.

Wir halten also abschließend fest: Biike verfrüht entfachen geht online genauso gut wie offline. Zündeln 3.0 errregt die Gemüter genauso schön wie echtes Feuer.  Aufregung und firestarter, Gepöbel und Biikevorfreude, Verarsche und Verdächtigungen, nächtliche Wache und wache Postings am Morgen sind also am 21. Februar unverändert vor allem eins: typisch Sylt.

P.S. Echt fies an der Nacht vor Biike war dieses Jahr übrigens nur eines: Irgendwie fiel irgendwo ein uralter Strandkorb ins Biikewachenfeuer, der „Ponymädchen“ gehörte, wie der gemeine Sylter reitende Frauen gern nennt. Keiner hat’s mitgekriegt, niemand hat gesehen, wer aus dem Strandorb Feuerholz machte. Hat jemand einen alten übrig und zu verschenken? Dann bitte gerne Kontaktdaten in die Kommentare. Danke.

Der Preis für den stylishsten Pidder mit dem allercoolsten Outfit (inklusive Skibrille) geht dieses Jahr eindeutig nach Kampen.