Irgendwie listig

Guck hier, nee, da, guck her, guck hin: Leuchtturm, Fahnen, Wolken, nun auch noch ein Riesenrad, und das Auge weiß gar nicht mehr, wo es zuerst hinschauen soll, was derzeit ein bisschen typisch ist für List

Es disneyworldet ganz schön in List. Vor Kurzem reiste ein Riesenrad an, wrooooaaaarrr, ein Riesenrad auf Sylt, das gab es hier noch NIE. 35 Meter hoch, 5 Euro die Fahrt, und die Insel dreht parallel zu den ersten Proberunden gleich mal bisschen durch vor Freude. Weltexklusive Vorabfahrten für „die Presse“, zahllose Fotostippvisiten, endlich mal ein neues Motiv, Beweisbilder aus luftiger Höhe, das macht sich gut an einem sonnigen Tag mit Schwenk die Wattseite entlang. Übers „arosa“ und über das nächste Lister Filetstück, das es zu verzehren gilt, das Areal am ehemaligen Offiziersheim, da hinten ist vielleicht auch die gewaltige „Neue Mitte“ zu erkennen, die eigentlich jeder ehrgeizige Ort oder Stadtteil heute braucht. Neue Mitten sind Trend, quasi der Rollrasen der kommunalen Städteplanerszene für den so raschen wie nachhaltigen Veränderungseffekt mit hohem Zukunftsanspruch, auch in List.

Putzen, wienern, polieren: Allerletzte Hand wird angelegt an die neue Attraktion im Lister Hafen

Alles ganz schön schön hier oben und ganz schön im Umbruch, so kurz vorm 725. Geburtstag des Dorfes in diesem Sommer (ganztägig, 21. Juli), deshalb auch das Riesenrad, das irgendwie ganz gut die bisher doch sehr fremdkörperig wirkende Großbildleinwand auf dem ebenfalls großen Parkplatz ergänzt, beides echt massiv. Ein Mann rennt die Hafenkante auf und ab, er ist viel zu warm angezogen für diesen ersten ehrlichen und nicht touristisch überhöhten frühsommerlichen Sylttag, er telefoniert wild gestikulierend. 20 Busse landen mindestens jeden Tag hier im Hafenareal, echt, alleine das macht ja ausgehend von 50 Plätzen im Schnitt pro Bus mindestens 1000 potenzielle Riesenradrundendreher pro Tag, es wird sich rechnen, ganz sicher, na, klar, wird schon gut gehen, echt, wird Hammer. Ein Riesenradpfleger poliert parallel umsichtig und gradezu zärtlich die weiß in der Sonne gleißenden Speichen des neuen Lister Wahrzeichens.

Der Blick schweift und fällt auf ein Hüpfitrampolindings direkt daneben, so ein Teil in das man seine Kinder einschnallen und minutenlang bouncebouncebounce machen lassen kann, damit sie nicht rumnerven und ständig was gekauft haben wollen in diesem so bunt schillernden und geschäftstüchtig flirrenden Teil von List, der sich einen dekorativen Hafen hält. Wenige Meter weiter wurde eine beeindruckende Liebesbeweissammelstelle installiert, eine Präventionsmaßnahme gegen das Wildvorhängeverschlössern der Zuneigung. Riesige Metall-Letter schreiben „LOVE“ auf einem Podest an eine Bretterwand, dazu noch ein Geländer drumherum, sieht aus wie aus Alt-Palletten gebastelt, auch das ist ja grade Trend, eine weiße Zweier-Bank mit Herzchenrückenlehnen komplettiert das Liebesset. Das Ganze wirkt ungefähr so romantisch wie der beiläufige automatisierte Tinder-Wischanfall eines gelangweilten Pubertiers.

Das Herz ist voll und schwer, demnächst werden das L, das O und das E folgen: die liebevolle Seite des nördlichsten Hafens der Republik

Das alles scheint an einem eher ruhigen Tag im Mai ein bisschen viel, aber List will. Und wie. So ein Jubiläum ist ja auch eine Riesenchance, eine kreative Herausforderung. Und dass der Höhepunkt des Festtages der Auftritt von den fünf ganzen Kerlen von „Santiano“ („Bis ans Ende der Welt“) sein wird, open air für Tausende von Menschen, das passt irgendwie perfekt auf den Exerzierplatz der ehemaligen Marineversorgungsschule mitten „im Herzen“ vom Dorf. Natürlich gibts anschließend ein gewaltiges Feuerwerk, wie es sich gehört auch mit Lasereffekten. Und spätestens dabei wird dann keiner mehr daran denken, dass auch dieses Areal ein Brennpunkt mehr oder weniger erfolgreicher kommunalpolitischer Versuchsreihen war und  ist, immer noch schlingernd zwischen Bundeswehrabzug, gierigen Investorgelüsten und touristischer Zukunftssicherung. Dieses Dorf will, am liebsten alles, jetzt, und wie, aber das ist nicht immer leicht.

Wahrscheinlich wirds mit List und seinem Jubiläum am Ende so ausgehen wie mit dem Riesenrad, dieser kurzen und sehr subjektiven Frühsommertagsinsepktion und den Santianos: Erst findet man das alles etwas zu muskulös, zu groß, zu laut, zu gewollt, bisschen zu stark gebräunt, zu pseudoseebärig und fakefreibeuterig. Man entschliesst sich, das echt nicht wirklich zu mögen, und dann sind die alle einfach so enthusiastisch dabei, so liebenswert ein wenig daneben, dass sie richtig gut rüberkommen, dass sie mitreissen und du merkst am Ende – verflucht, das gefällt mir irgendwie doch.

 

 

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