Ein Loch in Westerland

Also, das kann man doch nicht! Also, das muss doch wirklich nicht sein. Nicht ausgerechnet jetzt. Also, wie können die nur und wer hat sich DAS denn bloß wieder ausgedacht?! Seit heute wird an der Promenade in Westerland gearbeitet, genauer gesagt an der Ufermauer des Hauptstrandes, also quasi zu Füßen des Miramar. Im JULI. Mit allem Drum und Dran. Quasi eine OP am offenen Herzen des ohnehin in diesen Wochen schwer hochdruckgeplagten Sylttourismus. Bagger und Trecker sind involviert bei der Einrichtung dieser Wanderbaustelle, schweres Gerät, diverse Bündel Zäune, wie man sie für Festivals oder eben Baustellen benutzt, schließlich geht es auch um Sicherheit, denn vor allem für sie wird hier gebuddelt, und reinfallen soll ins Loch ja auch keiner.

Alle Witze mit „Bob der Baumeister“ wurden bereits gemacht: Baggerarbeiten am Westerländer Hauptstrand reißen ein Loch mitten in die Saison

Baggerbaggerbagger, auf einer Länge von 750 Metern insgesamt. Genau DA, wo der massenkompatible und weniger wanderaffine Gast seinen Strandkorb am liebsten besetzt. Genau JETZT, wo der Gast da ist. Und dann auch noch VIER Wochen lang und bis zu guten vier, FÜNF Metern tief, während SECHS Bundesländer schon Ferien haben. Loch auf, reingucken, Loch zu, ein paar Meter weiter wieder Loch auf, reingucken, Loch wieder zu. Sockel, Standfestigkeit und Mauerzustand müssen vermessen und begutachtet werden und dann wird irgendjemand berechnen, wie fit diese Mauer insgesamt noch ist, um ihren Job top zu machen, nämlich die Sicherung des Uferbereichs.

„Zustandserfassung“ nennt sich dieser heute eröffnete Vorgang und wird in die „Planung für Verstärkungsmaßnahmen“ münden, hoffentlich noch dieses Jahr abzuschließen, so erklärt ein Mitarbeiter des zuständigen Büros vom „Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein“ (LKN) in Husum. Und dann, wenn alles so hinhaut wie geplant, wird in den kommenden Jahren diese Mauer nach und nach verstärkt werden, da gibts schon jetzt gar keine Fragen mehr, an verschiedenen Stellen. Immer MITTEN in der SAISON, immer zwischen dem 15. April und dem 31. September, weil das für Küstenschützer und -fürsorger so ähnlich ist wie das mit den Schonzeiten und Abschussperioden bei den Jägern. Nur im Sommer darf direkt an der Küste gearbeitet werden, NIEMALS während der Sturmsaison. Der, dem die Bagger gehören und der sie dirigiert, guckt etwas angespannt in das erste, rasch tief ausgehobene Loch. Ein Passant ruft, „Strandburgenbauen verboten“, wieherwieher, und jemand sagt, wenn jetzt ein Sturm käme, na, dann aber gute Nacht fürs Miramar, das hätte dann schneller nasse Füße, als man  gucken kann.

Ganz so wär’s wahrscheinlich nicht, aber trotzdem ist das hier kein leichter Job für alle Beteiligten, und das sind mehr, als nur die Fahrer, die blödeln, ob sie bei Schönwetter wohl nacktbaggern müssen (nein, denn der FKK-Strand beginnt erst bei der Umweltmessstation, Stückchen weiter, im Norden). Baustellen machen Geräusche, Baustellen sorgen für Abweichungen vom Gewohnten, Baustellen und der hashtag „Inselliebe“, sie vertragen sich einfach nicht besonders gut im Juli und August. Strandkorbwärter und Kurkartenkontrolleure verdrehen die Augen, sobald  jemand mit Ich-hab-was-zu-sagen-Gesichtsausdruck naht. Unendlich oft werden sie in den kommenden Wochen hören, so wie heute, warum genau jetzt, wieso ausgerechnet hier und so dämlich kann man doch gar nicht sein. Und man denkt sich so, gleich sagt bestimmt einer, die Merkel wars oder mindestens der insulare Dauerschuldige, der Bürgermeister. Dabei ist es doch „nur“ das LKN, das hier Regie führt für die Sicherung der Inselküste. Aber die Erregungswelle will wie bei so vielen Themen hochbranden gegen die marode Mauer, die über 100 Jahre alte, und nichts kann sie aufhalten. Deshalb: Um es kurz und den Arbeitern vor Ort etwas leichter zu machen, hier 10 Punkte zum besseren Verständnis der Gesamtsituation.

  1. Sylt ist tatsächlich immer noch kein Resort, kein maritimer Erlebnispark, hier finden phasenweise immer noch echtes Leben, wirkliche Stürme und normale Wartungsarbeiten an Diversem statt.
  2. Ja, 1. gilt auch für den Hochsommer. In echt.
  3. Strandkorbwärter und Tiefbauer geben alles, um Belästigungen so kurz wie irgend möglich zu halten.
  4. Witze mit den Satzelementen „Bob der Baumeister“, „Auf Sand gebaut“, „Burgenbau verboten“ sowie „Nächstes Mal Ostsee“ sind vor Ort bitte zu vermeiden.
  5. Die Wanderbaustelle wird schon Morgen (vielleicht sogar schon nachher) die da drüben tangieren und nicht mehr dich.
  6. Es gibt am Weststrand mehr Körbe, die nicht von den Bauarbeiten tangiert werden, als solche, die betroffen sind.
  7. Es gibt in Westerland inzwischen so viele Strandkörbe, dass es wahrscheinlich noch nicht mal Nordrhein-Westfalen und ein Dauerhoch gemeinsam schaffen werden, alle auszubuchen.
  8. Nein, Sylt will sich nicht selbst abschaffen.
  9. Ja, es gibt ein Leben danach. Und währenddessen auch, keine 50 Meter weiter.
  10. Ein bisschen gelassenes Es-ist-wie-es-ist-Gefühl tut unglaublich gut, im Urlaub und im insularen Alltag.

Sperrgebiet Wanderbaustelle: Zäune aufbauen, abbauen, weiterschleppen, aufbauen, abbauen, weiterschaffen – es gibt sicher angenehmere Tätigkeiten am Strand und in einer auf Erholung programmierten Öffentlichkeit