Bürger! Meister!

Ach Bürger, ach Sylt, du hast es nicht leicht, mit deinen Aufgaben. Akut gilt es, endlich das Kandidatenfeld für die Bürgermeisterwahl der Gemeinde Sylt, die immerhin Westerland, Tinnum, Keitum, Rantum, Munkmarsch, Archsum und Morsum, also das große, weite Herz der Insel umfasst, im kommenden Dezember zusammenzustoppeln, und das gestaltet sich problematisch. Hyperaktive Fremde, heimkehrwillige Exinsulaner, zusammengeklaubte Kompromissopfer: Ein relativ deprimierendes kontur- und belangloses Zufallsgemenge präsentierte sich bisher der irritierten Öffentlichkeit. Als Ausnahme erwähnt werden muss, aber das nur nebenbei, F.A.S.-Autorin Bettina Weiguny (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/balance-akt/sylt-ich-kandidiere-13070150.html), deren Bewerbung immerhin einen gewissen Unterhaltungswert hatte. Was man von Gabriele Paulis erstem öffentlichen Insel-Auftritt nicht behaupten kann. Aber womöglich wars sowieso der letzte.

Pauli

Knapp 100 Menschen, die meisten in Paulis Alter (57) oder ein paar Klassen drüber, waren bereit für eine als Lesung getarnte Ego-Inszenierung, 10 € an der Vor-, 12 an der Abendkasse zu investieren, bei erstaunlich großem medialen Interesse, was allerdings zum Teil genauso maskiert wirkte, wie Pauli selber. Wenn sie die Kandidatin spielt, die immer noch keine ist, aber möglicherweise eine werden wird, oder doch nicht, aber vielleicht gleich, jedenfalls im September, oder nie, wer will es Grüppchen von älteren Menschen in zu bunten Daunensteppjacken verdenken, wenn sie behaupten mal für „Bild“, auch für „Bunte“, auch „den Springer“ regelmäßig zu schreiben, wenn sie mit großen Augen ihre Bereitschaft versichern, selbiges gegenseitig mangels Presseausweis gern zu bezeugen, aber dann doch jetzt wirklich – bitte rein da. Ohne Eintritt. Umsonst.

Im Keitumer Friesensaal, der inzwischen längst ein „Kulturhaus“ ist und sich mit unterhaltsamen Stromschwankungen, fast taktisch anmutenden Tonstörungen und pointiert flackernden Kronleuchtern präsentierte, waren „echte“ Sylter unterrepräsentiert (vielleicht 30), eindeutig zu viele Kameras aufgebaut (mindestens 5), die von deutlich zu vielen Wichtigen (16?) betreut wurden. Außerdem vor Ort: einige Franken, ein paar bekennende Bayern, diverse Zweitwohnungsbesitzer und ein weiterer Bewerber, zunächst inkognito, der nach Ende des Happenings mit skurrilen und komplett sinnfreien Überfalleinladungen inklusive zahlreicher Ausrufungszeichen („Sie! Wir!!! Sollten dringend einen Kaffee!!! Zusammen trinken!!!!“) auf die wenigen Fragenden stürzte, bei denen eine kritische Position gegenüber der möglichen oder doch nicht Konkurrentin zu vermuten war. Und die Pauli selber? Ach, der gemeine Sylter wird gen Hochsaisonende müde, jene wahrzunehmen und zu bewerten, die ihn und die Insel als Spielmaterial zur Sebstbespiegelung, Vermarktung und Inszenierung nutzen. Irgendwie farblos wirkte sie, schlecht vorbereitet, phasenweise übervorsichtig bis unsicher. Seltsam blass erschien sie sogar in der Retrospektive auf das saftige Schmierentheater um die Stoibersche Verrentung, was ja nun sowieso auch schon wieder sieben Jahre her ist. Aber manchmal werden Geschichten ja noch besser, wenn man sie sehr viel später und immer und immer und immer wieder erzählt. In diesem Fall leider nicht. Lesung aus ihrem Buch? Ja, ab und zu mal, ohne Dramaturgie oder wirklich erkennbaren Sinn dem Dreier-Dialog mit Moderator und ihrem Lohnschreiber abgetrotzt. Hier ein Absätzchen, da zwei Sätze. Fertig. Ihr Inselbezug? Ja, es ist ein Paradies hier, aber es gibt „Themen“, sie war öfter hier, letztes Mal sogar mit ihrer Mutter, sie vermeidet perfekt und ein bisschen sehr langweilig jegliche Griffigkeit, sie will noch viel „sprechen“ mit dem Sylter, und lässt doch die ganze Insel seltsam unbeteiligt an sich abtropfen. Und dann verrennt sie sich am Ende auch noch, als sie auf Nachfrage auflistet, mit wem sie denn bisher hier so alles gesprochen habe: mit der SPD, mit dem Kerkamm und dem Keitumer Friedhof, Gräber könnten ja so viel erzählen. Bürger: Meister recherchieren anders.

 

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